Aconcagua – Von Vertrauen

Wissen und Nichtwissen liegen selten so nah zusammen wie in dem Wort „Vertrauen“. Auf Vertrauen basieren Zusammenarbeiten, Partnerschaften und als reinste Form der Glaube an uns selbst. Die Überzeugung zu etwas fähig zu sein, gehört ebenfalls dazu – das Zutrauen.
Ich stelle mir die Frage nun schon seit Monaten – traue ich mir den nächsten Schritt zu? Mein Weg vorwärts besiegelt die Antwort und unterschreibt mit einem sanften staubigen Schuhabdruck am Fuße des Aconcagua den Motivationsvertrag mit mir selbst.

Ein Schritt

Es ist ein lang geplanter Schritt in eine Welt, die ich noch nicht wirklich kenne, die ich seit Jahren zu verstehen glaube, aber noch nie in dieser Exzessivität ausgeführt habe. Meine Ausflüge in die Welt der Berge war noch nie so weit weg von der gewohnten Infrastruktur. Dementsprechend unwohl könnte mir jetzt zu Mute sein, aber es fühlt sich gut an. Trotz aller Unwegsamkeiten im Vorfeld, die das Scheitern der Expedition schon so nahe erschienen ließen, trotz aller Unsicherheiten, die ich noch vor Antritt der Reise hatte und trotz meiner beschränkten Kenntnis in mich selbst.

Wanderung zum ersten Camp

Alleine traue ich mir das Ganze nicht zu. Den Weg zu finden, ist hier das Einfachste und das mit der Einschränkung auf gutes Wetter. Schon in den Alpen kann schlechtes Wetter eine Tour in ein unvorhersehbares Risiko schicken, aber der Aconcagua ist 6962 Meter hoch. Auf über 5000 Metern ist man auf sich alleine gestellt. Kein Helikopter kann einen hier runter holen und aus einer misslichen Situation befreien. Schon ab 3000 Metern nimmt das Risiko von Höhenkrankheiten zu. Wer schon mal etwas höher unterwegs war, kennt vielleicht die Kopfschmerzen, die ein erstes Anzeichen sind. Der Schmerz ist irgendwann nicht mehr auszuhalten. Schon mehrfach habe ich Menschen absteigen sehen, weil sie an Höhenkrankheit litten. Alles was über leichte Kopfschmerzen hinausgeht, kann mitunter lebensbedrohlich werden. Jetzt ist der Aconcagua aber einer der sichereren Berge. Die Infrastruktur ist auf die knapp 3000 Bergsteiger im Jahr ausgelegt, ärztliche Untersuchungen in den Basislagern sind Pflicht und dennoch kommt es immer wieder zu tödlichen Zwischenfällen.

Bergsteiger

Um das Risiko so zu minimieren braucht es einen erfahrenen Partner. Lange habe ich gesucht und bin auf Victor gestoßen. Seine kleine Agentur „Mallku Expediciones“ in Mendoza hat sich auf den Aconcagua spezialisiert. Er ist seit über 27 Jahren Bergführer und sieht sich und seine Unternehmung als Freund am Berg. Während ich mich in den größeren Expeditionsgruppen eher als Ware fühle und der persönliche Faktor etwas verloren geht, habe ich sofort Vertrauen in Victor. In Mendoza stellt er mir Herman an meine Seite. Herman wird in den nächsten Tagen mein Bergführer sein. Und mit ihm unternehme ich auch die ersten Schritte am Fuße des Aconcagua.

Eisenbahn in Puente del Inca

Der Aufstieg

Die Fahrt von Mendoza führt aus der Ebene in ein breites Tal. Ausgewaschen von Wasser schlängelt sich der Río de las Cuevas in die Anden, in Richtung der argentinisch-chilenischen Grenze. Nicht nur die Straße folgte dem Tal, auch die alte Bahnstrecke des Trasandino nach Chile. Im Jahre 1984 stillgelegt, sind die Schienen meist gut erhalten, aber auch oft von Erdrutschen unterbrochen. Am Kilometer 159 ist der Bahnhof von Puente del Inca. Hier entspringt eine heiße schwefelhaltige Quelle und färbt den Boden in gold-rot.

Puente del Inca

In den 1940ern wurde hier ein Thermalbad gebaut, welches aber schon 1953 wieder von einem Erdrutsch zerstört wurde. Weltweit bekannt ist aber der natürliche Felsbogen, der den Fluss überspannt und ebenfalls in gold-rot schimmert. Nur wenige Meter von dem alten Bahnhofsgebäude entfernt, liegt das Camp der Maultiere, deren Services wir uns nun bedienen. Neben unserer persönlichen Ausrüstung, wie Zelte, Schlafsäcke, dickster Winterkleidung und Steigeisen, übergeben wir den rustikalen Herren mit ihren Maultieren auch Essen für die nächsten Tage. Wir werden sie noch öfter sehen und von Mendoza aus wird uns Victor immer wieder frische Lebensmittel schicken.

Maultierhirten und Herman

Nur wenige Kilometer sind es bis zum finalen Einstieg in das 24 Kilometer lange Tal, das uns bis in das Basislager führen wird. Hier in Horcones registrieren wir uns im Informationszentrum des „Parque Provincial Aconcagua“. Hier bekomme ich auch zwei dünne Plastiksäcke, deren Rückgabe mir Strafen bis über 1000 Euro erspart. Es ist ein Müllsack und ein Sack in grell-orange für meine Toilettengänge. Bei über 3000 Bergsteigern, die ihr Wasser aus Schnee in den Hochlagern beziehen müssen, ist diese Art von Sauberkeit unabdingbar. Dafür sind die Camps auch angenehm sauber. Die Toilettenbehälter in den Basislagern werden auch via Helikopter ins Tal geflogen und entsorgt. Nichts bleibt am Berg.

Helikopter am Einstieg

Nach der Registrierung am Parkeingang passieren wir den Helikopter. Agenturen und die Parkverwaltung nutzen ihn für Versorgungsflüge, aber auch für medizinische Notfälle steht der Helikopter jederzeit zur Verfügung. Danach beginnt der Pfad auf 2900 Metern sich an Lagunen vorbei zu schlängeln. Diese Oasen in der sonst trockenen Umgebung sind ein Blickfang. Im Hintergrund ragt die legendäre Südwand hinter niedrigeren Bergkämmen hervor. Ein Parkranger prüft noch einmal unsere Aufstiegserlaubnis, bevor wir den Bereich für Tagesausflügler verlassen und den reißenden Strom der Quebrada de los Horcones überqueren. Die erste Etappe führt uns nur knappe sieben Kilometer bis in das Camp Confluencia. Der Pfad ist gut, aber steinig. Herman und ich kommen aber gut voran, auch weil wir nur mit leichtem Gepäck unterwegs sind. Auf halber Strecke, zu unserer Mittagspause, überholen uns die Maultiere mit unserem Gepäck.

Confluencia

Die Aufregung des Tages legt sich etwas, als wir im Camp ankommen, uns beim Parkranger registriert haben und von Christian und Sol, den beiden Campmanagern von Victor, empfangen werden. Es erwartet mich eine ausgezeichnete Infrastruktur von Kochzelt, Essenszelt und Schlafzelt. Hier treffe ich auf vier Argentinier. Ihr Weg folgt in den nächsten Tagen dem meinen. Wir werden uns jeden Tag zum Frühstück sehen, uns am Berg begegnen und abends wieder im Essenszelt über den Tag philosophieren. Mit dabei sein wird immer der Mate Tee. Ein typisch argentinisches Heißgetränk, welches mit jedem Aufguss von Person zu Person weitergegeben wird. Ein sozialer Akt, der Menschen zusammen bringt und selbst auf 6000 Metern noch funktioniert.

Argentinier im Essenszelt

Im Süden

Nach einer sternenklaren Nacht beginnt der Tag kühl und frisch. Wir sitzen im Essenszelt zusammen und frühstücken Rührei und Müsli. Nur wenig später stecken wir schon wieder in den Wanderstiefeln und sind auf dem Weg zum Aussichtpunkt auf „Plaza Francia“ und die legendäre Südwand.

Panorama Südwand

Von hier aus starten die anspruchsvollsten und gefährlichsten Expeditionen zum Gipfel. Eis, Lawinen und Klettereinlagen bis über 50 Grad sind ein Risiko, dass nur die erfahrendsten Bergsteiger eingehen und bezwingen können. Die über 2800 Meter hohe Südwand wurde erst 1954 von einer französischen Expedition zum ersten Mal durchklettert. Am Fuße dieser Wand bildet sich ein Gletscher, der in wilder rauer Formation sich durch das Tal in Richtung Confluencia zieht. „Confluencia“ heißt es nicht umsonst. Hier treffen sich das Nebental und das Haupttal, das von der Straße aus bis zum Plaza de Mulas, dem Basislager führt. Wir lehnen uns zurück an einen Stein und genießen den Ausblick auf die mächtige Wand. Herman holt seine Flöte aus dem Rucksack heraus und spielt lokale Klänge, die sich im Tal fortsetzen.

Herman mit Flöte

Es ist Anfang Dezember. Noch ist nicht viel los am Aconcagua. Die Saison hat gerade erst begonnen, dennoch passieren immer wieder einige Bergsteiger unseren Rastplatz, um sich langsam an die Höhe anzupassen. Ein unerlässlicher Tag in der Höhe. Herman erzählt von seiner Passion, seiner Leidenschaft in den Bergen. Als Kind hat er angefangen immer wieder Leute durch die Berge seiner Heimat bei Cordoba zu führen und er arbeitete sich langsam aber stetig in Richtung Professionalismus. Er ist ausgebildeter Bergführer und überlässt nichts dem Risiko. Als ich ihm meine Sorgen bezüglich der anstehenden ärztlichen Kontrolle schildere, holt er seine eigene Ausrüstung heraus und kann mich nach kurzer Untersuchung beruhigen.

Als ich dann am Abend vor dem jungen Arzt stehe, der mit Leggings, kurzer Hose, blondem Bart und kleinem Zopf einen eher lockeren Eindruck macht, ist die Welt in Ordnung. Mein Blutdruck ist im normalen Bereich, meine Sauerstoffsättigung im Blut ausgezeichnet und mein Atem ohne Rasseln. Ich bekomme die wichtige Unterschrift mit der ich am nächsten Tag weiter aufsteigen darf.

Dieser Tag brachte mir neues Wissen und Einblicke in die nächsten Tage. Meine Motivation für die nächsten Tage und der gute Draht zu Herman bildeten neues Vertrauen in meine Expedition auf den höchsten Gipfel außerhalb Asiens – den Aconcagua.

Diese Expedition wurde unterstützt von Mallku Expeditions in Mendoza.

Die Route

Podcast der Expedition

Du möchtest die ganze Geschichte auf deine Lauscher? Als besonderes Highlight gibt es die Expedition als Podcast von „Radioreise“ mit Alexander Tauscher. Einfach dem Link folgen.

Expedition 6000+

Dieser Artikel ist Teil meiner Serie „Expedition 6000+„. Sie führt zwei Monate durch die schönsten Wanderregionen Südamerikas von Patagionen, Bolivien bis zum höchsten Punkt der Reise, dem Aconcagua in Argentinen. Folge der Reise und genieße die weiten Landschaften, hohe Berge und die abwechslungsreiche Kulturen Südamerikas.

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