Märchenschloss auf Abwegen

Es gibt selten eine Touristenattraktion, die mich nicht nur ein wenig enttäuscht, sondern auch total überrumpelt hat. Vielleicht war es mein eigener Fehler, vielleicht habe ich einfach zu viel von dem Ort erwartet und war einfach nur unvorbereitet. Nein, das kann nicht sein. Die Bilder in den Prospekten, auf Webseiten und auf den Postkarten sind einfach zu schön, um den Ort mit Vorurteilen zu belegen. Eine grobe Vorstellung hatte ich von Deutschlands berühmtesten Schloss und mir war von Anfang an klar, dass ich nicht alleine dort sein werde. Als ich dann aber von dem kleinen Wanderweg auf die Hauptstraße biege, Auto- und Busschlangen sich vor mir eröffnen, Menschenmassen mich wie eine zähflüssige Glibbermasse umschließen und der Gruppenzwang mich in eine Ticketschlange würgt, da ist es mit meiner Postkarten-Romantik von Schloss Neuschwanstein augenblicklich vorbei.

Schloss Neuschwanstein

Ruhe in den Bergen

Zurück auf Los. Die Schlossallee ist noch in weiter Ferne. Ich darf mich heute Gastgeber nennen und einen Traum erfüllen. Mein Besuch hat auf der To-See-Liste Neuschwanstein ganz oben gelistet und meine Erinnerungen an diesen Ort sind blasser, als das Foto auf dem sich die Erinnerung wiederfindet. Für uns steht somit das Ziel der Reise fest. Auch die Zeit bindet sich an den einzigen regenfreien Tag, den die Wettervorhersage für Ostern ausspucken kann. Wir würfeln eine fünf und die Reise geht los: Hauptbahnhof. Die Wolken hängen noch tief am Morgen. Die Berge hüllen sich in ein kühles Paket aus Nebelschwaden und die Gipfel entziehen sich unserer Blicke. So weit wir auch nur in das hügelige Land um den Ort Füssen hinausschauen, mehr als saftig grüne Wiesen sehen wir nicht.

Lech in Füssen

Die Landschaft hat schon etwas Schönes an sich. Die großen Höfe stehen imposant in der Landschaft. Ein kleiner Fluss schlängelt sich hin und wieder nahe an die Gleise heran und in der Ferne kleckst ein See einen blau-grauen Fleck in das grüne Bild. Am Bildrand lässt sich für einen Moment ein Schloss erahnen. War es dieser Moment, auf den wir uns so gefreut haben? War es Neuschwanstein?

Zu schnell ist der Bildausschnitt schon wieder weitergezogen. Mit sanftem Hupen an den unbeschrankten Bahnübergängen nähern wir uns Füssen. Ich hole meine Kamera heraus und schieße einfach ein paar Schnappschüsse zum Warm werden. Nichts besonderes will sich vor meine Linse trauen. Das Stadtbild ist wundervoll, aber irgendwie verirrt sich kein sehenswerter Moment auf meine Kamera. Erst als wir die Brücke über den Lech erreichen und das smaragdgrüne Wasser einen neuen Farbtupfer in das Gemälde zaubert, ist der Bann gebrochen.

Drei-Schlösser-Weg

Wir beginnen unsere erste Etappe auf dem Drei-Schlösser-Weg und steigen gemütlich den schmalen Pfad zum Kalvarienberg hinauf. Die Aussicht ins Lechtal ist weiterhin vernebelt, aber der Himmel über Füssen scheint sich langsam zu lichten. Das Kloster St. Mang bleibt der Blickfang bei jedem Stopp mit Aussicht ins Tal zurück.

Vorbei führt uns der Weg an kleinen Kapellen mit den Stationen der Kreuzigung Christi. Mit dem Erreichen des Gipfels, fängt der Himmel an, aufzureißen und erste Sonnenstrahlen lassen Besseres erahnen. Zwar ist es auf dem Gipfel etwas eng, aber die Menschen verteilen sich schnell wieder auf den Wanderwegen und auf dem Abstieg zur Königsstraße zum Schwansee sind wir fast wieder alleine. Eine kleine Idylle erstreckt sich vor uns.

Schwansee

Auf einer Bank am Seeufer lassen wir uns nieder und werden von zwei Enten ins Visier genommen. Unsere Brotzeit scheint auch sie zu überzeugen. Wir sind uns aber einig, dass unser Hunger stärker ist als die Blicke der Entenaugen und genießen Brötchen, Wurst und Käse. Nach einer Weile am spiegelglatten See ziehen wir weiter. Nur noch wenige Kilometer trennen uns von Hohenschwangau. Es ist ruhig, nur eine Gruppe mit ca. 40 Fahrradfahrern zieht an uns vorbei. Ein erster Vorgeschmack auf das, was uns erwartet.

Schwansee-Panorama

Massen am Schloss

Der See muss wohl „Frei Parken“ gewesen sein, denn als wir an der Hauptstraße rauskommen, ist es mit der Idylle vorbei. Parkplätze ab 6€, Autoschlangen und Bus-Karawanen noch vorm Ortseingangsschild. Diese Seite des Spielbrettes hat wohl schon jemand ordentlich in Beschlag genommen. Geplättet von den Touristenmassen wünsche ich mir nichts sehnlicher, als selbst kein Tourist zu sein und diesen Ort schnellstens wieder verlassen zu können. Aber ich bin nun mal ein Tourist und habe das gleiche Bedürfnis wie alle anderen: ein Ticket fürs Schloss Neuschwanstein. Wir lassen uns um 13 Uhr von der Ticketschlange fangen, entkommen ihr aber ziemlich schnell wieder, als uns bewusst wird, das wir erst ab 18:30 Uhr eine „Audienz“ im Schloss bekommen würden.

Schloss Neuschwanstein

Wir beschließen, das Schloss Neuschwanstein einfach nur so zu besuchen und erklimmen den Berg über Hohenschwangau. Auch ohne Schilder würden wir einfach den Weg finden. Wir wandern die breite Straße hinauf. Mittlerweile reißt der Himmel immer wieder auf und die Sonne lässt sichauch kurzzeitig blicken.

Paragilder

Das Schloss thront auf seinem Felsen vor uns. Die weißen Mauern ragen so hoch, dass wir den Kopf in den Nacken legen müssen, um die Spitzen zu sehen. Wir werfen einen kurzen Blick in den Innenhof und hoffen auf weniger Betrieb auf dem Weg zur Marienbrücke. Der breite Pfad ist noch besuchter als der bisherige Weg nach oben. Die Schlossallee fordert ihren Tribut. An den wenigen Stellen mit Sicht auf das Schloss ist fast kein Durchkommen mehr. Für den Blick von der Marienbrücke stehen wir fast 20 Minuten an. Auch wenn ich sagen muss, dass die Aussicht wirklich wunderbar ist, so ist mir das alles zu viel.

Touristenmassen auf der Marienbrücke

Zum Glück ist der direkte Pfad nach unten weniger überlaufen und wir schlendern zurück nach Hohenschwangau. Am Alpsee lassen wir uns nieder und genießen die Sonne, die nun doch öfter scheint. Meinen Rucksack erleichtern wir um die letzten Vorräte, bevor wir noch einen kurzen Abstecher zum Schloss Hohenschwangau machen.

Schloss Hohenschwangau

Das gelbe Schloss liegt in vollem Kontrast zu den grünen Wäldern, dem blauen See und dem weißen Märchenschloss. Auch wenn heute kein Postkartenwetter war, so bleibt dieses Ensemble als Gemälde in unseren Erinnerungen. Leider mit leichten Farbunstimmigkeiten aber am Ende war es ein schöner Tag in den Bergen.

Und so ziehen wir auf dem Spielbrett über „Los“ dem nächsten Bahnhof entgegen.

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