Gelandet in Dunkelheit, gestrandet in Undurchsichtigkeit, getrieben durch Kälte und Nässe, gefühlt in der Krise, geleitet durch Rationalismus. Ich wurde in diese Situation katapultiert wie ein Stein ins kalte Wasser. Ich sinke immer tiefer und versuche mich erst einmal zu sortieren. Es könnte schlimmer sein, aber mir ist trotzdem eiskalt. Der Bus aus Homs hat mich in diese Situation entlassen. Meine geplanter Gastgeber via Couchsurfing hat mir vor keinen drei Stunden eröffnet, dass er mich aus persönlichen Gründen nicht mehr beherbergen kann und er mich auch nicht mehr von der Bushaltestelle abholen kann. Ich fahre dennoch in Richtung Damaskus und stehe nun hier. Ich frage mich, wo soll ich schlafen, habe ich überhaupt ausreichend Geld, um mir eine Unterkunft leisten zu können. Ich bin erst gestern morgen in Aleppo gelandet und seither bestreiken mich die Geldautomaten. Mit großer Umsicht muss ich mein letztes Geld zusammenhalten.
Ein Dach muss her und ich frage an der Bushaltestelle nach einem Stadtbus in die Innenstadt. Vielleicht gibt es dort ja Hotels. Ich weiß gar nichts. Meine Karte reicht nicht bis in den Vorort in dem ich gerade stehe. Ich habe keine Ahnung wo ich bin. „Hamsah“, „Hamsah“ kommt immer wieder als Antwort. „Fünf“, „Fünf“, die rettende Nummer des Buses, den ich besteigen soll. Die Dunkelheit und der Regen machen es nicht einfach, aus dem Fenster zu schauen. Wie soll ich da ein Hotel ausmachen. Herumirren ist genauso schlimm. Es regnet und meine Jacke lässt mich schon nach Minuten im Stich. Bis auf die Haut reicht die Nässe, die sich bei tiefen herbstlichen Temperaturen in die Haut bemerkbar macht.
Das Licht
Ich steige in den Bus und löse mein Ticket. Meine Aufmerksamkeit fällt auf einen jungen Herren im hinteren Busteil. Er hat eine Laptoptasche auf dem Schoß; zu verlieren habe ich nichts mehr. Ich brauche jemanden, der mich versteht und mir helfen kann. Ich spreche ihn an, er spricht gutes Englisch und ich erkläre ihm meine Situation. Die einzige Bitte ist ein Signal von ihm zum Ausseigen. Ich will nur schnell in ein Hotel und hoffe auf einen besseren Start in den kommenden Tag.
Er zögert nicht lange und führt ein kurzes Telefonat. Sein Angebot klingt wie ein Traum. Er bittet mich, ihm zu folgen. Er kommt gerade aus Latakia, einer Küstenstadt in Syrien und ist auf dem Weg zur Uni. Seine mündliche Prüfung in Englisch steht an und er lädt mich ein, daran teilzunehmen. Schon der erste Teil klingt gut. Erstmal wieder warm werden, das ist mein erster Gedanke. Er fährt aber gleich mit seinen Aussagen fort und erweitert sein Angebot. Er würde mich danach zu seinem Cousin bringen, wo ich übernachten könnte. Als hätte ich mich gerade verhört, legt er noch einen Punkt mit in die Waagschale. Sie würden mir morgen die Stadt zeigen. Aussichtslos, wie meine Situation noch vor Minuten war, so aussichtsvoll klingt das Ganze. Noch in kurzer freudiger Starre, sage ich keine Sekunde später zu. Es ist das Beste, was mir passieren konnte.
Die Uni
Wir fahren gemeinsam zu seiner Fakultät. Ich bleibe weiterhin in der Orientierungslosigkeit gefangen und werde durch die Flure dirigiert. Vor seinem Prüfungszimmer warten wir zusammen mit seinen Komilitonen auf seinen Moment. Er bittet mich zu ihm in die Prüfung und als Sparingpartner für die anstehende Konversation leiste ich ihm Beistand. Die Englischdozentin ist etwas verdutzt, aber freundlich und kann nicht anders, als unserer Vorstellung eine gute Note zu geben.
Zurück im Regen laufen wir eine ganze Weile, bevor wir in kleine Minibusse umsteigen. Nach nochmaligem Umsteigen verkündet er mir, dass wir angekommen sind. Mein Orientierungssinn wird nicht besser und wird auch den ganzen nächsten Tag von der Größe der Stadt gefordert. Ich werde mich einfach daran gewöhnen müssen, keine Idee zu haben.
Wir stehen vor dem Haus seines Cousins und werden hineingebeten. Ich stelle meinen Rucksack in die Ecke und ziehe mir erstmal trockene Kleidung an. Helfen tut es nicht wirklich, aber besser als nichts.
Mir wird ein Tee angeboten und wir stellen uns gegenseitig nochmals vor. Es ist eine lustige Runde und ich taue langsam auf. Ein Freund der Familie kommt mit seinem Auto vorbei und wir fahren nochmal zurück an die Bushaltestelle. Ich erkenne den Ort nicht wieder. Wir werden noch eine Person mehr und zusammen fahren wir in ein Café. Der Tee fließt in Strömen und der Regen vor der Tür lässt nicht nach. Es kommt langsam die Annahme zum Tragen, dass ich Hunger habe. Es lässt sich fast nicht überhören. Ich kann mich gar nicht vor Gastfreundschaft retten und werde eingeladen. Hähnchen und Reis werden gekauft und zurück im Wohnzimmer setzen wir uns in einer Runde auf den Teppichboden und essen. Der Ölofen im Zimmer spendet Wärme und ich, ich werde immer müder. Es war ein langer Tag und als sie dann mit Kartenspielen anfangen, muss ich leider die nette Runde verlassen. Im Nachbarzimmer wird mir eine Matraze angeboten, auf der ich auch sofort einschlafe. Endlich!
Der Morgen
Über die Nacht hat sich das Zimmer gefüllt und als ich am nächsten Morgen aufwache, sind wir zu fünft. Mir wird Tee serviert. Ich würde gerne eine Dusche nehmen, muss mich aber noch gedulden, bevor das Wasser im mit Holz befeuerten Boiler warm ist.
Der Duschkopf mitten im Badzimmer und die Armatur in weiter Ferne machen das Duschen nicht leicht. Es ist ein komisches Gefühl, das Bad unter Wasser zu setzen. Zumindest bin ich jetzt wach genug, um die Stadt zu erkunden.
Wir fahren mit Minibussen in die Innenstadt. Leider lässt sich das Wetter nicht zu schöneren Momenten überreden, aber zumindest lässt der Regen nach. Die private Stadtführung beginnt im Souq al-Hamidiyye, dem bekanntesten der Bazare der Stadt. 420 Meter erstreckt sich die Marktstraße in Richtung Umayyaden-Moschee. Entlang der ehemaligen römischen Säulenkolonade ziehen sich kleine Geschäfte mit orientalischer Kleidung, aber auch Gewürz- und Teeläden sind in den Nebengassen zu finden.
Wir betreten die Umayyaden-Moschee und ich bin gefesselt von der Architektur und der Farbenpracht des Gebäudekomplexes. Sie gehört zu den ältesten Moscheen der Welt und war für lange Zeit gemeinsame Gebetsstätte für Christen und Muslime. Gerade als wir die Moschee verlassen, wird zum Asr, dem Nachmittagsgebet, gerufen. Aus allen Richtungen erklingt der Adhān, der Gebetsruf und hallt in dem herrlichen Innenhof wieder. Es ist der schönste Adhān, den ich bisher gehört habe; im Kanon, professionell gesungen und im Einklang mit der Architektur in Stimmung gesetzt.
- Gebetsraum der Umayyaden-Moschee
- Umayyaden-Moschee in Damaskus
Im Labyrinth
Für mich sieht es eher aus, als würden wir von nun an in den Gassen herumirren, aber wir finden wie durch Zauberhand alle Stadttore.
Meine Begleiter führen mich noch in mehrere Hinterhöfe und in ein Hamam, bevor wir noch einen Blick auf den alten Bahnhof Damaskus-Kanawat werfen. Von hier aus führte die Hedschasbahn von Damaskus nach Medina in Saudi Arabien über Amman in Jordanien.
Das nahegelegene Nationalmuseum war leider geschlossen. Deshalb führten sie mich noch zum Abschied zu ihren Universitätsgebäuden.
Mein Flug zurück nach Saudi Arabien rückte stetig näher. Meine „Gastgeber“ brachten mich noch zum Flughafenbus und wir verabschiedeten uns herzlich.
Ich verdanke ihnen eine großartige Zeit in Damaskus. Die Gastfreundschaft, Hilfsbereitschaft und Offenheit der Menschen hat mich sehr bewegt. Es war eine Reise durch die Kulturen: von orientalischen Handelsrouten und der arabischen Kultur bis tief hinein in die heutige Seele des Landes.
Syrien – schöne Erinnerungen:
Teil 1 – Aleppo
Teil 2 – Krak des Chevallier
Teil 3 – Damaskus
Es ist gut und sehr interessant, Deine Reisebeschreibung, die Bilder….wie das mal ausgesehen hat……voller Leben….
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Was für eine wunderbare Geschichte, die gleichzeitig Hoffnung und Traurigkeit schenkt. Es ist schön, auch einmal ein anderes Gesicht von Syrien zu sehen. In meinem Deutschkurs ist auch jemand aus Syrien. Deine Beschreibungen über die Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft erinnern mich sehr an die Geschichten, die er immer von seinem Heimatland erzählt.
Danke, dass du diese Erfahrungen mit uns geteilt hast und liebe Grüße,
Wibke
Hallo Wibke,
ich habe lange mit mir selbst gehadert, ob ich wirklich diese Serie schreiben möchte. Die Geschichten und Erinnerungen an Syrien sind wirklich wunderbar. Ich musste für die Serie nochmal viele Recherchen machen und bin leider über so viele aktuelle Bilder gestolpert, die mich fast das Projekt wieder verwerfen lassen haben. Zum Beispiel, was ist mit dem Hotel Baron in Aleppo? Welche Orte habe ich in Damaskus besucht? Sie sieht die Burg aus…
Falls du es noch nicht getan hast; die anderen zwei Artikel aus der Serie sind auch gespickt von tollen, herzlichen Menschen.
LG Dominik
Hallo Dominik,
ich kann mir gut vorstellen, dass du dir nicht sicher warst, ob du die Serie veröffentlichen sollst. Umso mehr freut es mich, dass du es doch getan hast, denn es ist gut, auch solche Geschichten von Syrien zu erzählen.
Viele Grüße,
Wibke
Hallo Dominik, nachdem du ja nach dem Hotel Baron gefragt hattest habe ich den Syrer gefragt, der in meinen Deutschkurs ging. Das Hotel gibt es leider nicht mehr. Er selbst war früher öfter in dem Hotel und hat ganz tolle Geschichten darüber erzählt. Ich dachte es interessiert dich vielleicht, da du es ja explizit erwähnt hattest. LG
Was für eine wundervolle Geschicht, die mich gleichzeitig ein wenig traurig macht, angesichts der Dinge, die gerade passieren. Ich wünschte, wir würden auch ALLE so viel Gastfreundschaft zeigen.
Mich würde interessieren, ob Du noch Kontakt zu den Leuten hast?
Liebe Grüße und Danke für den tollen Artikel!
Corinna
Hallo Corinna,
ich habe leider zu den Leuten aus Aleppo den Kontakt verloren. Das Profil ist seit Jahren verweist. Zu den netten Herren aus Damaskus habe ich zwar keinen Kontakt, aber ich sehe auf Facebook, dass es ihnen gut geht.
Liebe Grüße,
Dominik
Ein sehr schöner Bericht über ein faszinierendes Land, über das man in letzter Zeit leider nichts Gutes zu hören bekommt. Ich hoffe sehr, dass bald wieder Frieden herrscht und man erneut so schöne Reisen dahin unternehmen kann.