Eine Wanderreise entlang des Rheins – die neuen, alten Möglichkeiten genießen!
Der Frühling ist plötzlich vorbei, die Bäume sind grün geworden und man hat es aus dem Home-Office und den Tagen der Isolation vielleicht gar nicht mitbekommen. Die Natur hat sich einfach weiterentwickelt, aber das Gefühl stehen geblieben zu sein, ist allgegenwertig. Nach fast drei Monaten „Shutdown“ lebt alles wieder auf. Die Welt hat sich verändert, aber was genau? Vor meiner Haustür sieht eigentlich alles noch gleich aus.
In den Köpfen der Menschen sieht es dagegen etwas anders aus. Natürlich sehnen sich viele nach den Fernreisen in andere Länder oder auch selbst in Deutschland, den Besuch bei Freunden und der Familie, aber einiges ist einfach noch nicht möglich. Selbst unsere Nachbarländer sind noch verständlicher Weise sehr vorsichtig, wollen Touristen, aber bitte nicht zu viele. Da heißt es, sich der Situation anzupassen und das neue, alte Deutschland kennen zu lernen.
Deutschland neu entdecken
Während des Shutdowns war es vor meiner Haustür schön ruhig. Jetzt fahren wieder viele Autos und der Alltagslärm ist wieder omnipräsent. Soviel zum Thema sichtbare Veränderungen. Klar leben wir jetzt mit Einschränkungen, aber besser so, als krank und in Quarantäne. Ich habe die Zeit genutzt, um meine Umgebung kennen zu lernen und statt zu Hause zu sitzen war ich viel im Wald spazieren und habe Podcasts gehört, Reisegeschichten gelesen und die Welt auf Bildern betrachtet.
Aber jetzt habe ich auch das Schöne am Reisen in Deutschland wiederentdeckt. Es ist aktuell die perfekte Zeit sich die sonst so überlaufenen Orte anzuschauen und die Orte zu besuchen, die man in Deutschland noch nicht kennt. Vielleicht erden mich die Erfahrungen der „neuen Normalität“ und holen mich aus meiner „Home-Office-Blase“ heraus.
Wandern im Siebengebirge
Jetzt habe ich nur ein Wochenende, aber ich hatte schon lange Bonn und das Siebengebirge auf meiner Wunschliste. Beim Stöbern in meinen alten Landkartensammlungen stoße ich dann auch wieder auf eine Karte des Rheinsteigs. Ich habe schon einige Etappen gewandert und war jedes Mal von der Landschaft begeistert. In die Ferne reisen geht noch nicht, dafür ist Bonn mit dem Zug gut erreichbar und so buche ich spontan zwei Hotels entlang des Rheins und fahre los.
Die erste Etappe führt mich von Bonn-Oberkassel bis Bad Honnef. Das entspricht einer schönen Kombination aus Teilen der ersten und der zweiten Etappe des Rheinsteigs, wobei der Stadtanteil bei Bonn gegen die Drachenburg und Teile Bad Honnefs getauscht sind. Ich starte die mittelschwere Wanderung oberhalb der Steinbrüche von Oberkassel auf der Rabenlay. Von hier aus geben einige Aussichtspunkte den Blick über den südlichen Teil Bonns, den Rhein bis hin zur Drachenburg frei. Trotz der Nähe zum bebauten Gebiet führt der Rheinsteig durch die grüne Natur.
Der Rhein verschwindet aber schnell und der Weg führt durch Wälder und Wiesen und streift die ersten Berge des Siebengebirges. Am Ende des Tages werden sich die Höhenmeter auf über 750 Meter summiert haben. Eine beachtliche Summe für ein Gebirge dessen höchster Punkt nur 460 Meter über dem Meeresspiegel liegt. Dafür verbindet der Rheinsteig die Anhöhen östlich von Bonn-Oberkassel, auch als Rabenlay bekannt, mit dem Petersberg und dem Drachenfels und lässt dazwischen keine Senke aus. Drei Anstiege reichen dann aber auch für den ersten Tag.
Letzter Anstieg Drachenfels
Bei Oberdollendorf erreiche ich die ersten Weinberge auf meiner Tour und kurz nach Mittag dann auch das Kloster Heisterbach. Von der Abtei aus dem 13. Jahrhundert ist nur noch ein kleiner Teil als Klosterruine erhalten. Der Rest wurde als Steinbruch verwendet, nachdem das Kloster 1803 aufgegeben wurde. Auf der Terrasse der Klosterstube esse ich eine gute Portion zur Stärkung und setze meinen Weg zum Petersberg und dem Hotel fort. Hierauf habe ich mich schon gefreut. Das Bundesgästehaus auf dem Petersberg und die Aussicht von den Terrassen aus, wollte ich schon lange Mal genießen. Was ich bisher nicht wusste, dass bis 1958 eine Zahnradbahn bis auf den Gipfel fuhr. Das Pendant dazu aus der gleichen Zeit erleichtert auch heute noch den steilen Aufstieg zum Drachenfels.
Ich habe die Wandervariante gewählt, bei der ich nach dem Abstieg vom Petersberg noch zwei Berge erklimmen muss, um erst das Schloss Drachenburg und später die Ruine der Burg Drachenfels zu erreichen. Das Schloss Drachenburg ist der Höhepunkt des ersten Tages. Die prächtige Villa aus dem 19. Jahrhundert ist stark einer Burg angelehnt, bietet aber verzückende Dekorelemente und neben dem wunderschönen Garten auch prunkvoll verzierte Innenräume mit Blick über das Rheintal. Als hätten die Menschen schon wieder vergessen, dass wir eigentlich in einer Zeit des Coronavirus leben, stehen sie an den Aussichtspunkten dicht gedrängt. Also alles so wie vorher?
Zum Glück geht die Sonne erst spät unter, denn auch ich vergesse bei der großartigen Aussicht etwas die Zeit und trudle etwas später als geplant im Hotel ein. Dank ein paar übrigen Essensrationen im Rucksack, tausche ich das Abendessen in einem Restaurant gegen gemütliches Beine-hoch-legen und lasse den Tag ausklingen.
Rheinschleife bei Boppard
Am zweiten Tag quere ich den Rhein mit der Bahn und statte Koblenz einen kleinen Besuch ab. Die Stadt am Zusammenfluss von Rhein und Mosel ist ein Stadtrundgang wert. Ich fokussiere mich auf einen kurzen und auch ehrlich gesagt oberflächlichen Stadtrundgang durch die Parks des kurfürstlichen Schlosses, entlang des Rheins zum Deutschen Eck mit Blick auf die Seilbahn über den Rhein zur Festung Ehrenbreitstein und entlang der Mosel zurück zum Bahnhof. Ich möchte meine Rheinwanderung fortsetzen und so fahre ich mit dem Zug nach Rhens. Von dort aus erklimme ich stetig den Rheinburgenweg nach Boppard. Die Marksburg auf der anderen Rheinseite bleibt auf dieser Wanderung die einzige Burg der Etappe und auch der Rhein zeigt sich anfangs selten.
Dafür erwartet mich am Ende der Wanderung der Vierseenblick und der Blick vom Gedeonseck auf die Rheinschleife bei Boppard. Die Perspektive ist interessant. Wie durch ein Fischaugenobjektiv scheint das Panorama verzerrt. Ich lasse mich nieder und beobachte den regen Schiffsverkehr auf dem Rhein. Meine Füße verlieren die Lust am Laufen und die Sesselbahn muss mich ins Rheintal nach Boppard bringen.
Direkt am Fluss setze ich mich in ein Restaurant und genieße das komisch wirkende, ruhige und distanzierte Getümmel um mich herum. Wie sich die Zeiten ändern…ein Kellner mit Plexiglasvisier bringt mir einen Bopparder Rotwein und ich lasse die Gedanken schweifen. Irgendwie juckt mich das Fernweh schon…vielleicht fahre ich demnächst in die Lüneburger Heide Wandern oder an die Ostsee. Ist ja auch weit weg und mit der Bahn und ÖPNV unter gewissen Umständen auch ein Abenteuer. Die Niederländer hingegen wollen keine Touristen im öffentlichen Nahverkehr haben und schon bleibt die umweltfreundliche Alternative auf der Strecke. Aber wie reist man jetzt eigentlich richtig? Soll man wieder reisen und ist es vernünftig? Ich weiß es nicht und beschließe nach meinem zweiten Wein einfach, dass ich mich an das neue „Reisenormal“ herantaste – langsam, vorsichtig und weiterhin einfach neugierig.
infatiguable!
Bon courage!